Was im Leben wirklich wichtig ist, Teil 2
Der zweite Teil unserer Natur ist Chid, und Chid heißt zum einen Wissen, es heißt aber auch Bewusstsein. Auf der einen Seite ist es Wissen und der Mensch will Wissen. Und egal, wie viel wir wissen, wir wollen mehr wissen. Manche Menschen sind getrieben davon, mehr zu wissen. Man kauft Bücher, man geht in Kurse, man geht in Seminare, besucht eine Ausbildung nach der anderen, man schaut jeden Begriff im Internet nach. Inzwischen geht es ja auch mit Smartphone. Ich gehöre durchaus zu denen, die auch ein Smartphone haben. Und wenn ich in irgendeine Stadt gehe, sehe ich eine Kirche, will ich auch gleich wissen, wem ist sie gewidmet und was ist dort die Geschichte. Und wenn ich das so ein bisschen weiß, dann kann ich reingehen und dann dort meditieren und irgendwie hilft es mir, mich einzustimmen auf diesen Ort, wenn ich vorher so ein bisschen was dort weiß. Aber egal, wie viel wir wissen, wir wissen nie genug. Und in der heutigen Zeit wissen wir es weniger als früher. Irgendjemand hat mal behauptet, Goethe sei einer der letzten Universalgenies gewesen, der hätte noch den größten Teil des Wissens seiner Zeit gehabt. Da wäre es möglich gewesen, dass ein Mensch alles Wissen haben kann. Ich glaube es zwar auch nicht. Vielleicht alles akademische Wissen, aber jeder Bauer hat sein eigenes Wissen, jede Mutter hat ihr eigenes Wissen, jede Kräuterfrau hatte ihr Wissen gehabt. Das wird er nicht alles gehabt haben. Aber jetzt vom akademischen Wissen her stimmt das vielleicht, dass Goethe auf der Höhe seiner Zeit war, alles zu seiner Zeit von Physik, Medizin, Chemie, Biologie, was bekannt war über Geschichte und Religionswissenschaft, all das, und was über Geographie bekannt war zu seiner Zeit, scheint er alles gekannt zu haben. Und er war nie zufrieden damit, wie er ja auch im Faust irgendwo dann beschreibt. Heutzutage kann kein Mensch alles wissen, noch nicht mal über ein spezialisiertes Fachgebiet. Ein Kardiologe kann nicht alles über das Herz wissen, was heutzutage gewusst wird. Er kann noch nicht mal alles über die rechte Herzklappe wissen, was heute gewusst wird. Und egal, wie viel wir wissen, wir wissen nicht genug. Aber wir haben den Drang, zu wissen. In diesem Sinne, mehr zu wissen, ist vielleicht auch nicht falsch in diesem Sinne. Aber es ist nicht Faktenwissen, sondern mehr Wissen im Sinne von Verstehen. Da unsere wahre Natur Wissen und Bewusstsein ist und letztlich die Intuition das ist, was das höhere Wissen ist, ist all das, was zu mehr Verständnis führt, etwas, was Ausdruck unserer Seele ist, was etwas ist, was überdauert und in die Ewigkeit führt und was Menschen auch dauerhaft befriedigt. Wenn ihr irgendwo am Ende eines Tages oder einer Woche sagt: „Ich habe etwas verstanden.“ Wie fühlt sich das an? Irgendwie gut, oder? Wenn ihr dagegen nur gehört habt, irgendwie ein neues Faktenwissen – wenn ihr irgendwas verstanden habt und wenn dieses Verstehen dabei euer Bewusstsein ausdehnt, irgendwo einen größeren Kontext bringt, das ist immer Ausdehnung letztlich, dann ist etwas da. Vom yogischen Standpunkt aus das Wichtigste für Chid ist der Zugang zur Intuition. Die Kultivierung von Techniken, die einem zur Intuition führen und damit Zugang zu einem intuitiven Verständnis der Menschen und der Welt. Die letzte dieser drei Eigenschaften, Ananda. Ananda heißt Wonne, Glück. Es heißt aber auch Prema, ist auch eingeschlossen. Prema heißt Liebe. Ein bisschen vorsichtig muss man sein, man sagt so, alle Menschen wollen glücklich sein, alle streben nach Glück. Auf der einen Seite ja, denn unsere wahre Natur ist Freude und Wonne und sie ist verknüpft mit Liebe. Aber Menschen streben nicht einfach nur danach, irgendwie ein bisschen glücklich zu sein. Im Sanskrit unterscheidet man Ananda von Sukha und auch von Mudita. Sukha hat in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Bedeutungen und wenn es in Gegensatz gesetzt wird zu Ananda, Sukha und Mudita, ist Sukha so Sinnesvergnügen. Mudita ist so eine Art Euphorie, Begeisterung. Das ist durchaus was Schönes. Auch Sukha ist was Schönes. Aber Ananda ist so eine tiefere Erfahrung von Glück. Und diese tiefere Erfahrung von Glück kann verbunden sein mit Sukha und Mudita, das ist letztlich Temperamentfrage, aber wir müssen nicht alle in jedem Moment auf einer emotionellen Seite glücklich sein.
– Fortsetzung folgt –
Dies ist die 8. Folge der unbearbeiteten Niederschrift eines Mitschnitts eines Workshops von Sukadev Bretz in der Yoga Vidya Yogaschule Essen. Für die Erläuterung der Sanskrit Ausdrücke schaue nach im Yoga Wiki. Hier ein paar weitere Links:
- Seminare mit Sukadev
- Seminare zum Thema Raja Yoga und Positives Denken